Mit dem Schienenbus zur Hölle

Wir sind zurück von der Fackelwanderung zum Tannerl, die jedes Jahr am 2. Weihnachtsfeiertag durch die Kolpingsfamilie organisiert wird. Das erste Bier hat geschmeckt, das Abendessen war bestellt, Pfannkuchensuppe, Leberknödelsuppe, Cordon Bleu, Würstlteller mit Sauerkraut, als Nachspeise Weihnachtsplatzl. Da fragt mich Gerd: „Harald, wollen wir morgen zur Hölle?“ Ich werde oft so gefragt, weil ich um Falkenstein die meisten Wege kenne und auch weiß, wo man einkehren kann. Aber einen Weg zur Hölle, und gar mit Einkehr?

Nun, der „Kaiser von Holland“, wie Gerd Keijzer aus den Niederlanden hier genannt wird, will uns nicht etwa dem Leibhaftigen oder des Teufels Großmutter ausliefern, er hat nur das nächste Wanderziel im Sinn, das Höllbachtal hinter Postfelden, das zu den schönsten Zielen im Vorwald gehört. „Aber Gerd“, sage ich, „für morgen haben wir doch den anderen Wanderfreunden zugesagt, über den Schweinsberg und den Sengersberg zum Gasthaus zur Grünen Au zu gehen. Wie wäre es, wenn wir uns die Hölle übermorgen vornehmen?“

„Einverstanden“, antwortet Gerd, „und wir nehmen nicht unsere Autos, sondern fahren alle zusammen mit dem Schienenbus bis Gfäll.“ Gute Idee. Pünktlich nach dem Frühstück, ich mit Wanderstock und Dackel, alle warm angezogen, versammelt sich die Gruppe am Bahnhof, um Fahrkarten zu kaufen. Die Rückfahrkarte nach Gfäll war wohl kürzlich teurer geworden und kostete nun am 28.12.1982 2,20 Mark. Sparsame Bahn: der aufgedruckte Preis von 2,00 DM wurde durchgestrichen, der neue höhere Preis daruntergeschrieben.

„Den Dackel nehme ich auf den Schoß, der kostet doch wohl nichts?“ Denkste, der selbe Preis, zur sauberen Unterscheidung aber mit Handeintrag „Hund“ und abgeschnittenem Unterteil der Fahrkarte.

Damit konnte es losgehen. Die Büssing-Diesel des Schienenbusses (korrekt: Verbrennungstriebwagen, VT) hatten im Leerlauf den Innenraum schon gut aufgewärmt. Nun drehten sie langsam und deutlich hörbar hoch und setzten den VT der Baureihe 798 holpernd und ruckelnd in Bewegung. Zunächst ging es über die Bahnhofsgleise, dann über die Rundbogenbrücke, die die Tannerlstraße überspannte und durch die man von Süden her einen wunderschönen Blick auf die Burg hatte.

Der Dackel, genauer, meine Rauhaarteckelhündin Mucke fühlte sich auf meinem Schoß wohl, wir schauten auf Falkenstein und ließen langsam die Wald-Winterland-schaft an uns vorbeigleiten. Es lag nicht viel Schnee, aber Raureif hatte uns einen wahren Märchenwald beschert. Ein kurzer Blick zurück, dann ging es durch den Wald und unter der Brücke durch auf Winkling zu, weiter Richtung Schergendorf. Rechts ließen wir den Handelsberg liegen, links konnte man durch eine Lücke Brennberg mit dem Holzturm auf der Burgruine erkennen.

Bald war rechter Hand der Zwiebelturm von Gfäll zu sehen. Pünktlich in 17 Minu-ten waren die 5 km zurückgelegt. An der Haltestelle Gfäll hieß es aussteigen. Der Böhmische wehte uns sofort kräftig in die Gesichter. Wir zogen unsere Mützen fester und begannen den 3-km-Marsch über Thallern zur Hölle. Dackel Mucke war kaum zu bremsen; er sollte ja bei der Kälte auch in Bewegung bleiben. Aber schon bald begann das Problem: die Pfötchen des Dackels vereisten und wurden immer weißer und runder. Wir bemühten uns vergeblich um Enteisung, schließlich erbarmte sich Jan, nahm Mucke hoch und verstaute sie in seinem Anorak.

Dann im Höllbachtal erwartete uns ein wahrlich märchenhafter Anblick.

Raureif und Vereisungen hatten das schönste Bachtal weit und breit regelrecht verzaubert. Wir vergaßen bei dem Rundgang die Kälte und erlebten einen unvergesslichen Urlaubstag. Dabei half sicherlich mein mit Bärwurz gefüllter Flachmann, der zweimal die Runde machte.

Am südlichen Talende auf Postfelden zu erreichten wir die Bauernwirtschaft des Weigl Xaver. Aus der Erinnerung wusste ich, dass man sich da aufwärmen und (normalerweise) etwas essen und trinken konnte. Wir hatten nun nämlich Hunger, Durst ist ja sowieso immer dabei. Was ich noch nicht wusste, die weiblichen Mitglieder der Hofstelle waren seit ein paar Jahren nicht mehr da, Sohn und Schwiegervater, beide im Rentenalter, erwarteten uns in der alten Wirtsstube, einer hockte auf einem Schemel neben dem Holzofen, der andere saß auf dem Ofen!

Zuerst hatte ich Dackel Mucke in meinen langen Schal gewickelt, den ich eigens für diesen Zweck im Winter getragen habe, und dieses Paket neben den mäßig wärmenden Ofen gelegt. Wir ließen uns nicht verdrießen – uns blieb ja auch keine Wahl – und ignorierten tapfer die erheblichen Verschmutzungen. Flaschenbier ist ja sauber. Aber leider, oder besser: zum Glück, gab es nichts zum Essen. So zogen wir wieder unsere Mützen und Handschuhe an und machten uns auf den nun 5 km weiten Rückweg zur Haltestelle Gfäll. 

Man muss ja auch mal Glück haben. Das Gasthaus Kulzer in Gfäll liegt direkt gegenüber der Haltestelle. Und bis zur Rückfahrt nach Falkenstein war noch genug Zeit, so dass wir Frau Kulzer um einige Würstl, Leberkäs, Glühwein und Bier erleichtern konnten.

Dann kam der Schienenbus von Schillertswiesen her angedieselt, nachdem er den Aufstieg von Regensburg geschafft hatte. Gut gelaunt genossen wir die 17-minütige Rückfahrt und rollten pünktlich in den Bahnhof Falkenstein, die Burg zur Linken, die Gedanken auf das warme Pensionsbett für einen wohligen Nachmittagsschlaf gerichtet.
Das kurze Stück vom Bahnhof zum Marktplatz bescherte uns vor dem Mittagsschlaf noch einen Blick auf das winterliche Falkenstein. Wir waren zwar müde, nahmen uns dennoch Zeit, diese besondere Ansicht zu genießen.

Am Abend dann wieder die Probleme mit der Speisekarte. Max Zimmerer, der Postwirt, hatte schon wieder eine neue Tageskarte geschrieben und das Angebot auf eine kaum überschaubare Zahl erhöht. 

Irgendwie sind wir aber schon klar gekommen und haben abschließend die Verdauung mit einem Bärwurz oder Waldhimbeergeist eingeleitet.

Trotz der täglichen Wanderungen, meist ohne Schienenbus, haben wir über die Jahre hin die Erfahrung gemacht, dass das Lebendgewicht im Falkensteiner Vorwald pro Urlaubswoche um 1 kg zunimmt!

Harald Schumny